Genetik der westlichen Honigbiene
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Mendel, der große Entdecker der Regeln der Genetik, scheiterte also an der Untersuchung der Bienen. Warum?
Besonderheit bei Honigbienen
Königinnen und Arbeiterinnen haben tatsächlich doppelte Gene, die einzeln vererbt werden. Erwachsene Drohnen entstehen aber aus unbefruchteten Eiern ohne Vater und können daher nur eine einzeln vererbte Variante der Mutter besitzen. Das bringt die statistischen Verhältnisse durcheinander und Mendel konnte seine Spaltungsregel und Unabhängigkeitsregel nicht wie gewohnt erkennen. Selbst wenn er hätte beobachten können, welcher Drohn die Königin befruchtet. ((In der Radiosendung Frühstückshonig vom 15.04.2016 werden Mendels Probleme in dem Interview ab der 10. Minute beschrieben.))
C: 16 Chromosomen aus Drohnen-Ei
D: 32 Chromosomen aus Arbeiterinnen-Ei
Aus genetischer Sicht kreuzen wir die Königin also nicht mit einem Drohn, sondern mit der Mutter des Drohns. Für uns ist ein Drohn also nur ein genetisches Spermium der genetischen Vater-Königin. Mit der Besonderheit, dass der Drohn viele Kopien von sich als echte Spermien an eine Königin weitergibt. Und dass eine Königin von 10 bis 20 ((Ruedi Ritter, Laurent Gauthier: “Vererbungslehre”, S. 63-80 im Schweizerischen Bienenbuch Band 3 vom VDRB, 20. nachgeführte Auflage 2014)) verschiedenen Drohnen befruchtet wird.
Dadurch gibt es nicht nur normale Geschwister mit 50% Ähnlichkeit wie in der klassischen Genetik, sondern auch andere Verwandtschaftskoeffizienten innerhalb einer Generation.
Die haploiden Drohnen sind wie erwähnt genetische Spermien im klassischen Sinne. Sie erhalten aus jedem Chromosomenpaar ihrer Mutter ein zufälliges Chromosom. ((Dadurch, dass Drohnen nur Gene der Mutter besitzen, lässt sich die DNA der Königin sehr gut über ihre Söhne untersuchen. In der Regel ist es ja unerwünscht die Königin abzutöten, wenn nur ihre Gene analysiert werden sollen…)) Drohnen der gleichen Mutter ähneln sich also im Mittel zu 50% und sind dadurch klassische Brüder.
Bei den diploiden Weibchen gibt es drei Geschwisterarten:
Halbschwestern sind Töchter einer Königin mit verschiedenen Vätern. Wie bei Drohnen ähnelt sich der Teil der mütterlichen Gene zu 50%, aber die väterliche Hälfte kommt dazu und ähnelt sich zu 0%. Also stimmen die Gene von Halbschwestern im Mittel zu 25% überein.
Schwestern ähneln sich im Mittel zu 50%. Die mütterliche Hälfte ähnelt sich bereits zu 50%, also muss sich die väterliche Hälfte ebenfalls zu 50% ähneln. Das ist der Fall, wenn die Väter Brüder sind.
Superschwestern sind weibliche Bienen, die den gleichen Drohn als Vater haben. Da ein Drohn seine gesamten Gene 1:1 an seine Töchter weitergibt, ist der väterliche Teil der Gene immer zu 100% gleich. Die mütterliche Hälfte ähnelt sich nach wie vor zu 50%. Dadurch ähneln sich Superschwestern zu sagenhaften 75%.
Es sind auch Abstufungen dazwischen möglich und üblich, zum Beispiel wenn die Väter Cousins sind und sich dadurch zu 25% ähneln. Töchter der gleichen Königin sind dann zu 37,5% ähnlich zueinander.
Einheitliche Völker, in denen sich alle Arbeiterinnen sehr ähneln, sind in der Natur also eher unüblich und entstehen meist in der kontrollierten Umgebung von Belegstellen.
Durch Inzucht werden die Völker ebenfalls ein bisschen einheitlicher. Die oberen Berechnungen gelten zwar auch, wenn sich Königin und Drohnen ähnlich sind. Aber eine Generation weiter bekommt eine an vielen Stellen gleicherbige Königin ähnlichere Töchter.
Warum ist Inzucht ein Problem?
Bei der Linienzucht will man erreichen dass Merkmale “gefestigt” werden, also möglichst an alle Nachkommen weitergegeben werden. Das funktioniert am besten, wenn sowohl Königin als auch Drohnen nur Genvarianten für das gewünschte Merkmal haben und dadurch nur diese weitergeben können. Also zum Beispiel wenn sie beim gewünschten Merkmal reinerbig sind.
Eine solche Reinerbigkeit erreicht man am einfachsten durch systematische Inzucht: Die Töchter bekommen von beiden Seiten gleiche Chromosomen vererbt und sind dadurch bei sehr vielen Merkmalen reinerbig. Auch beim gewünschten.
Aber was ist mit dem Rest? Immerhin haben Bienen nur 16 Chromosomenpaare. Die Inzuchtdepression ist quasi vorprogrammiert. So einfach sollte man es sich nicht machen.
Glücklicherweise haben Bienen eine erhöhte Rekombinationsrate. Im Mittel kommt es z.B. pro Chromosomenpaar zu 5,7 crossing over Ereignissen im Gegensatz zu normalen 1,6. ((Martin Beyes et al.: Exceptionally high levels of recombination across the honey bee genome, Genome Research November 2006))
Das heißt, dass jedes der 16 Chromosomen im unbefruchteten Ei durchschnittlich aus 6-7 Abschnitten besteht, die abwechselnd von der Mutter und vom Vater der Königin kommen. Die Chromosomen verändern sich also in jeder Generation ein wenig. Ein Chromosomenpaar mit Chromosomen gleicher Abstammung hat meistens also trotzdem auch ganz normal gemischte Abschnitte.
Das heißt nicht, dass es bei Bienen keine Inzucht gäbe. Es gibt nur gute Schutzmechanismen, die sich gegen die durch Inzucht verursachte Reinerbigkeit zur Wehr setzen. Denn reinerbige Gene führen oft zum Auftreten von Erbkrankheiten.
Ein möglichst großer Genpool mit möglichst vielen Variationen sorgt langfristig für vitale Völker.