22 Mai

Inzucht und Heterosiseffekt

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Durch Inzucht entstehen also reinerbige Gene, die Erbkrankheiten ausbrechen lassen und dadurch Inzuchtdepression verursachen. Wie stark sind meine Bienen von Inzucht betroffen?

Verzögert schlüpfende Brut

Warum habe ich in Teil 2 extra von “Erwachsene[n] Drohnen” gesprochen, die aus unbefruchteten Eiern schlüpfen?

Aus Eiern schlüpfen Drohnen, wenn die Varianten beim sogenannten Sexgen gleicherbig sind. ((Ruedi Ritter, Laurent Gauthier: “Vererbungslehre”, S. 63-80 im Schweizerischen Bienenbuch Band 3 vom VDRB, 20. nachgeführte Auflage 2014))

Bei unbefruchteten Eiern kann es keine zwei verschiedenen Varianten für ein Gen geben, weil nur eine Variante existiert. Sie sind also immer gleicherbig und es schlüpfen immer Drohnen daraus.

Nun kann es aber passieren dass die Königin ein befruchtetes Ei in eine Arbeiterinnenzelle legt, das zufällig beim Sexgen zwei gleiche Varianten vererbt bekommen hat. Aus dem reinerbigen Ei entwickelt sich also keine Arbeiterin, sondern ein Drohn ((Der Drohn hätte wie eine Arbeiterin doppelte Gene, die an anderen Stellen auch mischerbig sein können.)). Die Ammenbienen erkennen das gleich ab dem Schlupf und räumen die Larve aus. Die Königin bestiftet die Zelle meist wieder und so entstehen je nach Inzuchtgrad mehr oder weniger Lücken mit verzögert schlüpfender Brut. ((Ruedi Ritter, Laurent Gauthier: “Vererbungslehre”, S. 63-80 im Schweizerischen Bienenbuch Band 3 vom VDRB, 20. nachgeführte Auflage 2014))

Je näher die Königin mit dem “Spermium Drohn” verwandt ist, desto wahrscheinlicher tragen sie eine gleiche Variante des Sexgens. Wenn das passiert, werden die Hälfte der von diesem Drohn befruchteten Eier zu Drohnen. Nur gut, dass Königinnen von 10 bis 20 ((Ruedi Ritter, Laurent Gauthier: “Vererbungslehre”, S. 63-80 im Schweizerischen Bienenbuch Band 3 vom VDRB, 20. nachgeführte Auflage 2014)) verschiedenen Drohnen befruchtet werden. Bei massiver Inzucht ist sie aber mit allen davon verwandt und im Extremfall werden nur 50% ihrer befruchteten Eier zu Arbeiterinnen. Bereits bei 72% Überlebensfähigkeit der Larven werden solche Völker im Winter zu klein sein, um zu überleben.

http://www.glenn-apiaries.com/genetics.html#anchor174332

Reinerbigkeit an dieser speziellen Stelle können wir also beobachten. Dazu markieren wir einen Bereich mit gleichaltrigen Eiern und warten auf die Verdeckelung. Im markierten Feld von 10-tägiger Brut zählen wir den Anteil der noch nicht verdeckelten verzögerten Lücken.

Überlebensfähigkeit der Larven = 100% – (Anzahl unverdeckelt) / (Anzahl Zellen gesamt)

Beispiel: Wir sehen auf einer Brutwabe eine schöne zusammenhängende Fläche mit gleichaltrigen zweitägigen Eiern. Diese Fläche zeichnen wir an. Acht Tage später müssten alle Larven verdeckelt sein. Wir entnehmen die Wabe und zählen 32 Zellen ohne Deckel. 480 Zellen sind verdeckelt. Insgesamt enthält die beobachtete Fläche also 512 Zellen. Damit ergibt sich:

Überlebensfähigkeit der Larven = 100% – 32/512 = 100% – 0,0625 = 100% – 6,25% = 93,75%

 

http://scienceblogs.de/bloodnacid/2011/12/05/krankheit-oder-kindstotung/

Beim Menschen sorgt Inzucht zu erhöhtem Risiko von plötzlichem Kindstod. In einem Fall hatten ein Cousin und seine Cousine fünf Kinder, von denen nur eines älter als ein Jahr wurde. Der Stammbaum sieht also so aus:

Ganz oben die gemeinsamen Großeltern. Darunter die Eltern des Paars, die außerhalb der Familie heiraten und Kinder bekommen. In der dritten Zeile sind Cousin und Cousine mit einer doppelten Linie verbunden. Ganz unten sind ihre fünf Kinder zu sehen.

Heterosiseffekt

Inzucht sorgt also für reinerbige Gene, wodurch häufiger Erbkrankheiten ausbrechen. Also sorgen wir doch einfach für möglichst gesicherte Mischerbigkeit, indem wir verschiedene Unterarten verkreuzen, oder?

Innerhalb der Art Apis mellifera wäre die minimalste Verwandtschaft die zwischen den Unterarten Mellifera und Ligustica… Bruder Adam lässt grüßen.

https://www.nature.com/articles/nature05260/figures/10

Wenn begründet wird, warum das Verkreuzen zweier verschiedener Rassen eine langfristig schlechte Idee ist, wird gern der Heterosiseffekt genannt. Dieser besage, dass in der ersten Kindgeneration eine einheitliche Kombination der Elternrassen entstehe, die die verschiedenen Vorteile beider Unterarten vereinen könne. Bald ließe der Effekt aber nach und der Hybrid sei nicht erbstabil, sodass sich Teile der Kindeskinder wieder verschieden stark den Unterarten annähern würden. ((Theodor Kulik: “Bienenrassen und ihre Verbastardisierung”, S.16f. in Bienen aktuell Ausgabe März 2018 vom Österreichischen Imkerbund))

Das erinnert stark an die drei Mendelschen Regeln aus Teil 1.

  1. Zuerst entstehen einheitliche Kinder…
  2. …deren Nachkommen sich zwar wieder aufspalten…
  3. …aber die die Merkmale der Eltern neu kombinieren und vereinen können.

Jetzt gibt es den Haken, dass die erste Mendelsche Regel nur funktioniert, wenn die Eltern reinerbig sind. Honigbienen und besonders Linienzuchten sollen zwar von Inzucht geplagt sein, aber vollkommen reinerbig sind sie nie. Sonst wäre aus dem Ei ja keine Königin, sondern ein Drohn geschlüpft. Von einer massiven Inzuchtdepression ganz zu schweigen.

Die zweite Mendelsche Regel geht davon aus, dass es genau zwei Varianten gibt, die zu 100% den Rassen zugeordnet werden können. Auch das wird nur zum Teil zutreffen, da es auch innerhalb einer Rasse verschiedene Varianten geben kann. Die Völker unterscheiden sich ja voneinander, sonst wäre eine Beurteilung oder Zucht völlig sinnlos. Ein gewisser Grad an Spaltung ist also immer gegeben. Und das ist wie gesagt gut für die Überlebensfähigkeit der Larven und gut gegen das Auftreten diverser Erbkrankheiten. Polymorphismus macht die Völker vitaler.

Wenn wir mit der Inzucht tatsächlich schon so weit wären, dass der Heterosiseffekt so deutlich spürbar auftritt wie von der Imkerschaft immer wieder beschrieben, dann behaupte ich wir hätten Verbastardisierung bitter nötig.

So weit sollte es aber noch nicht gekommen sein.

In der Biologie bezeichnet Heterosis den Effekt, dass sich bei der Kreuzung zweier Inzuchtlinien die Leistungsfähigkeit deutlich steigert. Die Hybride sind dann logischerweise nicht mehr von Inzucht gezeichnet und daher sind ihre Nachkommen genauso gemischt wie sie. Durch erneute Inzucht kommt es zur Abschwächung.

In den Folgegenerationen ergibt sich eine Mischung der Merkmale in allen möglichen Kombinationen. Manche funktionieren gut, andere weniger gut. Hier ist wieder natürliche Auslese und Zucht gefragt.

http://www.mpimp-golm.mpg.de/22418/Frag_die_Gerste

Heterosis ist also nicht nur ein guter Schritt in der Leistungssteigerung, sondern auch ein Zeichen dafür, dass die Völker bereits durch Inzucht geschwächt waren.

Das bekannteste Beispiel, wie durch Hybridisierung eine neue stabile (inoffizielle) Unterart entstanden ist, ist die Buckfast Biene. Bruder Adam begann 1916 im Buckfast Abbey mit ihrer Entwicklung. ((Theodor Kulik: “Bienenrassen und ihre Verbastardisierung”, S.16f. in Bienen aktuell Ausgabe März 2018 vom Österreichischen Imkerbund)) Ihre Gutmütigkeit beweist, dass “Bastarde” nicht zwingend aggressiv werden müssen.